Die Welt wird digital und Deutschland droht diese Entwicklung kräftig zu verschlafen. Das neue Credo der digitalen Welt lautet: Jederzeit, schnell, hier und jetzt. Wer nicht Schritt halten kann, wird vom Markt aussortiert.

Vor diesem Hintergrund schrillen in Deutschland nach der Veröffentlichung aktueller Digitalisierungsstudien, welche uns im internationalen Vergleich lediglich Mittelmaß bescheinigen, die Alarmglocken. So warnt z.B. der Präsident des BDI, Dieter Kempf: „Deutschland droht im internationalen Standortwettbewerb um die Vorreiterrolle in Digitalisierung und Innovation zurückzufallen.“

Alles nur Panikmache oder berechtigte Sorge? – Um diese Frage zu beantworten möchten wir in diesem Artikel den aktuellen Stand der Digitalisierung in Deutschland darstellen. Wir wollen aufzeigen, was digitale Vorreiter von anderen Unternehmen unterscheidet, wie weit Deutschland bei Themen wie z.B. Industrie 4.0 ist, wie wir im internationalen Vergleich abschneiden und warum die digitale Infrastruktur unsere Achillesferse werden könnte.

Digitalisierung in Deutschland – wie erfolgreich meistern unsere Unternehmen die neue industrielle Revolution?

Der digitale Wandel ist in vollem Gange und verändert dabei alles: Die Art, wie wir uns informieren, wie wir kommunizieren und wie wir konsumieren. Dies eröffnet für Unternehmen riesige Chancen. In Deutschland sind bis zum Jahr 2025 allein durch die sogenannte Industrie 4.0 Produktivitätssteigerungen in Höhe von insgesamt 78 Milliarden Euro möglich. Die Digitalisierung stellt aber auch eine enorme Herausforderung dar. Um weiter wettbewerbsfähig zu bleiben, muss man sich auf strategischer Ebene mit den modernen Märkten auseinandersetzen, radikal umdenken und eine Transformation hin zu digitalen Geschäftsmodellen vollziehen.

Bei den deutschen Unternehmen ist hier eindeutig noch Luft nach oben. Im Wirtschaftsindex DIGITAL 2018, der den Digitalisierungsgrad der deutschen Wirtschaft misst, erreichte man insgesamt 54 von 100 möglichen Punkten – Mittelmaß. In den Index fließen dabei drei Themen ein: die Nutzung digitaler Geräte, der Stand der unternehmensinternen Digitalisierung sowie die Auswirkungen der Digitalisierung für die Unternehmen.

Bei der Analyse der zugrundeliegenden Faktoren sieht man, dass mehr als ein Viertel der Unternehmen noch Probleme mit der Digitalisierung hat und sich in der Kategorie der digitalen Anfänger oder digitalen Nachzügler wiederfindet. Der größte Teil deutscher Unternehmen (34 Prozent) landet im digitalen Mittelfeld. Nur knapp 7% aller Unternehmen können von sich behaupten, digitaler Vorreiter zu sein.

Unterschiede zeigen sich vor allem beim Vergleich zwischen Dienstleistungs- und Industriesektor.

Während knapp 40% der Dienstleister bereits zu den digitalen Vorreitern und digital Fortgeschrittenen gehören, befinden sich die meisten Industrieunternehmen noch im digitalen Mittelfeld oder darunter.

Beim Blick auf die einzelnen Branchen gibt es wenig Überraschungen, hier bleibt die IKT- Branche weiter Vorreiter der Digitalisierung, gefolgt von wissensintensiven Dienstleistern und Finanz- und Versicherungsunternehmen. Vor allem letztere erwarten in Zukunft einen deutlichen Digitalisierungsschub und wollen bis 2023 um 8 Indexpunkte zulegen, wodurch sie die wissensintensiven Dienstleister auf Platz zwei des Rankings ablösen würden.

Quelle: Monitoring-Report-Wirtschaft DIGITAL 2018

Was unterscheidet eigentlich digitale Vorreiter von allen anderen Unternehmen?

Digitale Vorreiter zeichnen sich dadurch aus, dass sie in äußerst flexiblen Organisationsstrukturen arbeiten und in der Lage sind, evolutionäre und revolutionäre Änderungen gleichzeitig umzusetzen. Außerdem sind sie aufgeschlossen für Innovationen – und dies nicht nur in Randbereichen, sondern auch im Kern des Unternehmens. Digitale Vorreiter sind in der Lage, agil auf Veränderungen von Angebot und Nachfrage reagieren können.

Teaser zum User Guide "Business Resilience - Mit Digitalisierung widerstandsfähiger werden"
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Im Detail heißt dies zunächst, dass sie regelmäßig Veränderungen an ihrer Organisationsstruktur vornehmen. Diese betreffen Prozesse, Partner, Lieferanten und Kunden.

Ebenso sind sie darauf bedacht, Bereiche mit Kundenkontakt zuerst zu transformieren. Ziel hierbei ist es die Kunden stärker einzubinden und einen umfassenden, durchgängigen Kundenservice zu bieten.

Auch ist es für die digitalen Vorreiter einfacher, digitale Talente zu gewinnen und an ihr Unternehmen zu binden. Ihnen ist bewusst, dass sie digitale Fähigkeiten und Technologien entwickeln müssen, um weiterhin wettbewerbsfähig bleiben zu können.

Außerdem scheuen die Vorreiter nicht davor zurück, viel in neue, zukunftsfähige Technologien zu investieren. Die Verwendung bimodaler Architektur (und damit verbunden einem agileren Ansatz in der IT) ermöglicht es, fortschrittliche Technologien wie künstliche Intelligenz oder maschinelles Lernen zu nutzen. Darüber hinaus setzen sie, im Vergleich zu anderen Unternehmen, weitaus häufiger Big Data Anwendungen sowie das Internet der Dinge ein.

Digitale Vorreiter verstehen, dass erfolgreiche Digitalisierungsstrategien eine Balance zwischen organisatorischer Flexibilität, Akzeptanz fortschrittlicher Technologien und mutiger Veränderung schaffen müssen. Diese Strategien helfen ihnen dabei, ihren Marktanteil zu vergrößern, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, die Mitarbeitermotivation zu steigern und eine höhere Rentabilität zu erzielen.

Cloud Computing, Big Data, Internet der Dinge oder Industrie 4.0 – wie weit ist Deutschland bei der Umsetzung von wichtigen Digitalisierungsthemen?

Die Innovationstechnologien der Digitalisierung sind vielfältig und wer die Transformation erfolgreich meistern will, darf sich nicht vor deren Umsetzung im eigenen Unternehmen sträuben. Um den Digitalisierungsgrad deutscher Unternehmen besser zu verstehen, lohnt sich deshalb ein genauer Blick auf die Top-Themen der Digitalisierung.

Von besonderer Bedeutung für Dienstleister sind hier vor allem Cloud Computing und Big Data, denn sie befördern den Digitalisierungsgrad einer Firma am stärksten. Während Cloud basierte Dienste häufig zur Anwendung kommen und sich bereits 87 Prozent aller Unternehmen mit der Technologie auseinandergesetzt haben, gibt es bei der zugrundeliegenden Treibertechnologie für die Analyse großer Datenbestände noch Nachholbedarf. Nur neun Prozent aller Unternehmen nutzt derzeit Big Data Anwendungen und mehr als die Hälfte von ihnen erachtet die Anwendungen als nicht sinnvoll für den eigenen Geschäftsbetrieb.

Im Industriesektor erweist sich vor allem das Internet der Dinge als wichtigster Treiber der Digitalisierung. Die digitale Vernetzung von Geräten und Gegenständen hat hier bereits bei 45 Prozent der Unternehmen Einzug gehalten.

Quelle: Monitoring-Report Wirtschaft DIGITAL 2018

Auch Industrie 4.0 ist nach wie vor ein Top-Thema für deutsche Unternehmen. Laut BMWI nutzt derzeit neun Prozent des verarbeitenden Gewerbes die Anwendungen, die sich unter diesem Begriff zusammenfassen lassen. Durch intelligente, vernetzte Systeme können hier nicht nur einzelne Produktionsschritte, sondern die gesamte Wertschöpfungskette optimiert werden.

Die Bitkom Studie „Industrie 4.0 – Wo steht Deutschland?“ zeigt, dass im Jahr 2018 durchschnittlich 24 Prozent der Maschinen in deutschen Unternehmen mit dem Internet verbunden sind. Dies entspricht einer Steigerung von drei Prozent zum Jahr 2016.

Außerdem hat fast jedes Unternehmen (94 Prozent), das Industrie 4.0 Anwendungen plant oder bereits anwendet für 2018 ein festes Budget dafür vorgesehen. Im Mittel werden hier rund fünf Prozent des gesamten Umsatzes investiert. Die Unternehmen erhoffen sich dadurch vor allem eine Verbesserung ihrer Prozesse, verbesserte Kapazitätsauslastung und geringere Produktionskosten. Als potenzielle Hemmnisse für den Einsatz von Industrie 4.0 Anwendungen sehen sie neben den hohen Investitionskosten, Anforderungen an den Datenschutz und -sicherheit auch einen Mangel an Fachkräften.

Im internationalen Vergleich sehen die Befragten der Bitkom Studie Deutschland beim Thema Industrie 4.0 derzeit auf Platz drei hinter Japan und den USA.

Auch im internationalen Vergleich nur digitales Mittelmaß

Im aktuellen „Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft 2018“ (DESI) belegt die Bundesrepublik unter den 28 EU-Mitgliedsstaaten nur Platz 14. Deutschland wurden zwar leichte Fortschritte bei der Digitalisierung bescheinigt, insgesamt reichte es aber genau wie im letzten Jahr nur für eine Mittelfeldplatzierung. Die EU erfasst und bewertet in dem Index den aktuellen Stand in den Bereichen Netzabdeckung, digitale Kompetenzen, Internetnutzung, Digitalisierungsgrad der Wirtschaft sowie elektronischer Behördendienste.

Quelle: The Digital Economy and Society Index

Bei der Festnetzbreitbandnutzung und den diesbezüglichen Preisen sieht man Deutschland gut aufgestellt. Negativ gewertet wird allerdings die digitale Kluft zwischen Stadt und Land bezüglich der Versorgung mit schnellen Internetanschlüssen. Ebenso moniert die Studie, dass der Anteil der Glasfaseranschlüsse im ganzen Land sehr niedrig sei. Positiv überzeugen konnte Deutschland hingegen mit den digitalen Kompetenzen der Bevölkerung oder der Nutzung des Internet-Handels durch Unternehmen. Den größten digitalen Nachholbedarf gibt es laut DESI Index bei der Online-Interaktion zwischen Behörden und Bürgern. Nur 39 % der Bevölkerung nutzen elektronische Behördendienste. Damit liegt Deutschland unter den Mitgliedstaaten nur auf Platz 25.

Scheitert eine erfolgreiche Digitalisierung in Deutschland an der schlechten digitalen Infrastruktur?

Beim digitalen Wandel sind nicht nur Unternehmen gefordert – auch die Bundesregierung muss ihren Beitrag zu einer erfolgreichen Digitalisierung leisten und den Ausbau der digitalen Infrastruktur in Deutschland vorantreiben.

Klar ist nämlich: Deutschland hat ein Infrastrukturproblem und dieses dürfte in den kommenden Jahren zu einer besonders harten Belastungsprobe für die deutsche Wirtschaft werden. Unternehmen mit digitalisierten Geschäftsmodellen, die auf eine gute Internetversorgung angewiesen sind, haben nämlich in Deutschland laut dem IW Köln einen schlechten Stand.

Zur gleichen Einschätzung kam eine, durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in Auftrag gegebene, Studie. Sie zeigt, dass bis Ende 2017 eine flächendeckende Breitbandversorgung mit Verbindungsraten von lediglich bis zu 6 Mbit/s realisiert werden konnte.

Auch die Versorgung mit Glasfaseranschlüssen wurde als unzureichend identifiziert – hier liegt Deutschland mit einem Anteil von knapp zwei Prozent weit hinter dem OECD-Durchschnitt von 23,3 Prozent.

Um dieser negativen Ausgangslage entgegenzuwirken, stellten die Netzallianz und das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) deshalb am 7. März 2017 die Strategie „Zukunftsoffensive Gigabit-Deutschland“ vor, mit der sie für die Installation von Glasfaserinfrastruktur in großem Maßstab warben. Ziel ist es bis 2025 Gigabit-fähige konvergente Infrastrukturen realisieren zu können.

Außerdem veröffentlichte die Bundesregierung am 12. Juli 2017 ihre 5G-Strategie für Deutschland. Durch sie soll Deutschland als führender Markt für 5G-Anwendungen positioniert und eine schnelle und erfolgreiche Einführung der 5G-Technologie unterstützt werden. Bis 2021 können laut Koalitionsvertrag dafür 10–12 Milliarden Euro ausgegeben werden.

Doch gerade das geplante Vergabeverfahren für die neuen 5G Frequenzen bereitet vielen Experten Kopfzerbrechen. Ihrer Meinung nach könnte es dazu führen, dass bestenfalls 90 Prozent des Landes versorgt werden. Vor allem in ländlichen Regionen würde aus Wirtschaftlichkeitsgründen kein Ausbau erfolgen. Dies wäre aber fatal, denn man braucht dieses superschnelle Datennetz für alles, was in Zukunft digital sein soll: autonom fahrende Autos, Fabriken mit selbst steuernden Maschinen oder die Übertragung riesiger Datenmengen. Gerade die Unternehmen des deutschen Mittelstands, die häufig in ländlichen Regionen angesiedelt sind, würde dies wohl hart treffen.

Auch das geplante Investitionsvolumen der Regierung wäre wohl nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Um in der Vergangenheit versäumte Investitionen wieder aufzuholen, müssten öffentliche und private Investoren bis 2025 insgesamt knapp 1,4 Billionen Euro zur Verfügung stellen. Das geht aus einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY hervor.

Können wir eine erfolgreiche Digitalisierung in Deutschland also abhaken?

Definitiv nicht! Allerdings müssen sowohl Unternehmen als auch die Regierung aufwachen um den Mega-Trend nicht zu verschlafen. Unternehmen müssen die Digitalisierung als Chance begreifen und sich weiter für ihre Themen und innovativen Technologien öffnen. Dabei müssen sie mutig agieren und dürfen nicht vor hohen Anfangsinvestitionen zurückschrecken. Sie müssen sich unsere digitalen Vorreiter zum Vorbild nehmen und ihre Geschäftsmodelle an die neuen Gegebenheiten anpassen.

Um diese Prozesse zu unterstützen, muss die Bundesregierung entsprechende Grundlagen schaffen. Dazu gehört vor allem, dass sie sofort umfangreich in den Ausbau der digitalen Infrastruktur investiert. Nur durch ein koordiniertes Zusammenspiel aus Wirtschaft und Politik können wir die wahrscheinlich größte wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation unserer Zeit noch erfolgreich meistern.